Prof. Dr. Norman Paech (Universität Hamburg, Völkerrecht) und
Dr. Wesam Amer (Gaza Universität, Kommunikationswissenschaft; GIGA Visiting Fellow)

Suche die Schule auf, Obdachloser!
Verschaffe dir Wissen, Frierender!
Hungriger, greif nach dem Buch: es ist eine Waffe.
Du mußt die Führung übernehmen.
Bertolt Brecht: Lob des Lernens (1932)

Seit 57 Jahren leben die Menschen in Gaza unter Besatzung, seit 17 Jahren unter einer aggressiven Blockade durch den israelischen Staat. Die Folgen sind massive Armut und Hunger, Unterentwicklung, Krankheiten und Tod. Dieser unhaltbare Zustand wird durch den Krieg seit Oktober 2023 extrem verschärft. Entgegen all dieser Widrigkeiten gibt es in Gaza ein ausgeprägtes wissenschaftliches und künstlerisches Schaffen.

“We don’t have oil, we don’t have petroleum, we don’t have gold. The only capital we have is a human capital, so we believe in education.”, Akram Habeeb, Professor für englische Literatur, 2024 (Reportage von NBC News: Class destroyed: The rise and ruin of Gaza’s revered universities) Von der Motivation, allen Menschen Bildung und Wissenschaft als wesentlichen Entwicklungsfaktor zu ermöglichen, ist der Kampf um (höhere) Bildung in Palästina bestimmt. Die Analphabetismusrate lag im Jahr 2020 bei 2,6 Prozent, weit unter dem weltweiten Durchschnitt von 13,7 Prozent. Viele der Institutionen höherer Bildung wurden in der Zeit der israelischen Besatzung nach 1967 gegen ein Verbot der israelischen Militärverwaltung gebildet. Die erste Universität in Gaza wurde im Jahr 1978 gegründet. Im Zuge des Friedensprozesses von Oslo ab 1993 bildete sich das palästinensische Ministerium für Bildung und Hochschulen. Seitdem befand sich das Hochschulwesen im permanenten Ausbau.

In den 50 Hochschuleinrichtungen in Palästina belegen die meisten Studierenden geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer, also praktische Völkerverständigung. Ein Schwerpunkt in der Forschung liegt zudem auf Agrar- und Umweltwissenschaft, um die dauerhafte Versorgung Palästinas, exemplarisch für die gesamte Welt, mit Lebensmitteln und Wasser nachhaltig zu entwickeln. Damit ist es der palästinensischen Bevölkerung außergewöhnlich gelungen, einem großen Anteil eine Hochschulbildung zu verschaffen: 28,85 Prozent der über 25-jährigen hatten 2020 einen tertiären Bildungsabschluss erreicht. Genau so Viele wie in der BRD (28,9 Prozent). Entgegen der Entrechtung und Perspektivzerstörung durch Besatzung, Blockade und Krieg ist die Orientierung auf höhere Bildung Lebenselixier, Faktor der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung, Widerstand und konkrete Vermenschlichung. Dass diese Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen in Palästina existieren und weiterentwickelt werden, ist die Bedingung befreiender Praxis und ziviler Entwicklung.

Diesem Schaffen muss die internationale Gemeinschaft durch beherztes Eingreifen zu Waffenstillstand und einem Ende des Völkermordes neu zur Geltung verhelfen – für eine politische, zivile und damit einzig realistische Überwindung des Kriegs und der Besatzung Israels in Palästina. Davon zeugen die weltweiten Proteste der Studierendenbewegung von New York und Bosten über Helsinki, Berlin, Johannesburg bis Jakarta und São Paulo.

Seit dem 8. Oktober 2023 greift die israelische Armee gezielt die Hochschulen in Gaza an, bis zur jetzt kompletten Zerstörung. Die Wirkungsstätte von ca. 5000 wissenschaftlichen Beschäftigten und über 85.000 Studierenden ist zerstört worden, und damit die Entwicklungsquelle der Palästinenser:innen in Gaza. Die systematische Zerstörung des Bildungssystems und Hochschulwesens wird international als ‚educide‘ angeprangert, und ist ein integraler Bestandteil des umfassenderen Genozids, welchen Südafrika in seinem Antrag an den Internationalen Gerichtshof anklagt.

“When you destroy those kinds of institutions, you’re not fighting Hamas, you’re fighting the existence of the Palestinians. You’re fighting their capability to have memory and to have records and to be educated”, Rashid Khalidi, Historiker an der Columbia University und Autor mehrerer Bücher über diese Region, 2024 (Reportage von NBC News: Class destroyed: The rise and ruin of Gaza’s revered universities)

Bildung und Wissenschaft sind für die Entwicklung von Produktion, Kultur und Gesellschaft unverzichtbar, sie sind eine grundlegende erforderliche Alternative zu Armut und struktureller Gewalt. Sie sind Lebenselixier einer jeden Gesellschaft, und der Weltbevölkerung auf dem Weg zur global geeinten Menschheit. Die Menschenrechte sind zu Völkerrecht geronnene Erkenntnis aus zahlreichen Emanzipationsbewegungen und dem Sieg des Humanismus über den Faschismus. Angesichts der brutalen Missachtung dieses humanen Entwicklungsprogramms ist deutlich und durchzusetzen: Die Menschenrechte sind unteilbar. In der Verfassung der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) ist am 16. November 1945 in diesem Sinne gefasst worden: „Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden. (…) Die weite Verbreitung von Kultur und die Bildung zu Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden sind für die Würde des Menschen unerlässlich und für alle Völker eine höchste Verpflichtung, die im Geiste gegenseitiger Hilfsbereitschaft und Anteilnahme erfüllt werden muss.“

Anhand von zwei Implusreferaten von Prof. Dr. Norman Paech und Dr. Mohammed Wesam Amer diskutieren wir die Verwirklichung des Völkerrechts sowie die Geschichte und Lage des Hochschulwesens in Gaza, dessen Zerstörung und hervorzubringenden Wiederaufbau– und erörtern, was wir an der Uni Hamburg zum Eingreifen für zivile Entwicklung hervorbringen müssen.

Die Veranstaltung findet in deutscher und englischer Sprache statt. Alle sind eingeladen, sich zu informieren und mit zu diskutieren.

Eine Kooperation mit den „Kritischen Sozialökonom:innen“.