Wir, die Vertretung der internationalen Studierenden an der Universität Hamburg, sind bewegt von den revolutionären Kämpfen der Bevölkerung Irans. Wir senden unsere solidarischen Grüße an alle, die das Regime der „Islamischen Republik“ abstreifen wollen. Ihr seid Botschafter der Hoffnung und Vorbilder für den Kampf um die Emanzipation aller.

Der Funke, der dieses Feuer entzündet hat, war der staatliche Mord an Jhina Mahsa Amini, einer 22-jährigen kurdischen Iranerin, die wie etliche andere Frauen seit Jahrzehnten, unter dem Vorwand, gegen die repressiven Kleidervorschriften zu verstoßen, von der „Sittenpolizei“ verschleppt und misshandelt wurde. Diese Misshandlung führte zu ihrem Tod und wurde von einer mutigen Journalistin und mit Hilfe von medizinischem Personal, anderen Verhafteten sowie ihrer Familie als staatlicher Mord für alle Welt kenntlich gemacht.

Zan – Zendegi – Azadi

Wir trauern mit den Freund:innen und Angehörigen und sprechen ihnen – stellvertretend für die Hinterbliebenen aller Opfer des staatlichen Terrors – unsere Anteilnahme aus. Jhina Mahsa wird nie vergessen. Sie lebt in den Hoffnungen und Kämpfen der Menschen.

Die lebensbejahende, ursprünglich aus der kurdischen Frauenbewegung kommende Parole „Zan, Zendegi, Azadi!“ (kurdisch: „Jin, Jan, Azadi!“ „Für die Frauen, für das Leben, für die Freiheit!“), die nun die ganze Welt kennt, wird in den Protesten jetzt oft in dem Sinne erweitert, dass die Menschen und das Land insgesamt aufblühen sollen („Mard, Mihan, Abadi!“). Die Gleichheit gesellt sich zur Freiheit.

Es ist die neue Qualität dieser Erhebung, dass es um alle und alles geht: um die Befreiung der Gesellschaft von einer ausbeuterischen, klerikalen Oligarchie und ihren gewalttätigen Schergen; es geht um Befreiung von Gender-Apartheid und Rassismus, es geht um eine gerechte ökonomische Entwicklung und für das alles geht es um demokratische Grundrechte, um Menschenrechte.

Die Menschen wollen ihre Geschichte selbst in die Hand nehmen und die Probleme der Gesellschaft mit ihrer Klugheit und ihrem Engagement lösen.

Solidarität ist die größte geschichtliche Kraft!

Wir stehen an der Seite der Studierenden der Sharif-Universität in Teheran und aller anderen Universitäten. Wir unterstützen alle Schülerinnen und Schüler und alle Lehrkräfte, die sich gegen dieses Regime erheben. Verhaftung, Verschwindenlassen, Folter und Mord müssen beendet werden!

Die Bevölkerung Teherans versuchte, Studierende und Dozent:innen der Universität, die umzingelt, mörderisch attackiert und verschleppt wurden, zu befreien. Aktionen dieser Art wiederholen sich jetzt im ganzen Land.

Wir sind ermutigt von der großen Solidarität, die sich von Kurdistan bis in die balutschischen Provinzen des Vielvölkerstaats ermächtigt.

Lehrerinnen und Lehrer rufen auf zum Generalstreik und danken ihren Schüler:innen für die „Lektion in Mut, Leben, Emanzipation“.

In Provinzen wird Aufstand organisiert, um die militärischen Kräfte zu beschäftigen und die Bedrängten in Teheran oder Kurdistan zu entlasten.

In manchen Moscheen werden Verbrechen von Revolutionsgardisten angeprangert.

Die Arbeiter:innen in der Petrochemie und Öl-/Gas-Industrie rufen jetzt zum Streik auf und fordern das sofortige Ende der Repressionen.

Die Menschen überwinden in neuer Qualität und Quantität die herrschenderseits gewollte Angst, Vereinzelung, Spaltung und Passivität. Sie konterkarieren und attackieren das System – ohne Kopftuch, mit Spott, Gelächter, Performance und Musik, in Demonstrationen, Besetzungen, Hacks und Streiks in stetig wachsender Solidarität und Diskussion über ihre Ziele und Strategien. Sie verteidigen sich gegen die Brutalität der Regimes.

Die Herrschaft in der „Islamische Republik“ ist eine theokratisch-neoliberale Kleptokratie

Die „Islamische Republik“ ist eine erzreaktionäre, neoliberale, theokratisch-patriarchale und brutale Kleptokratie. Dieses Regime ist weder repräsentativ für die iranische Bevölkerung noch für die weltanschauliche Haltung und Praxis von Musliminnen und Muslimen.

Dieses Regime ist das Produkt einer geschichtlichen Entwicklung, in der seit Beginn des 20. Jahrhunderts alle Versuche der iranischen Bevölkerung, eine demokratische Verfassung zu errichten, über die natürlichen Ressourcen des Landes souverän und zum Wohle der Bevölkerung zu verfügen und friedliche Beziehungen zu den Nachbarn zu pflegen, von verschiedenen imperialistischen Mächten gestört und zerstört wurden. So haben 1953 im Interesse überwiegend britischer Öl-Konzerne der britische und amerikanische Geheimdienst den Putsch gegen den demokratischen Präsidenten Mossadegh organisiert und Shah Reza Pahlawi als Diktator befestigt. Auch die „islamische Revolution“ 1979 war – trotz aller antiimperialistischen Rhetorik der Mullahs – eine von außen geförderte Konterrevolution, ein „Diebstahl“ einer wirklichen Revolution, die schon zuvor aus humanistischen, demokratischen und sozialistischen Quellen gespeist wurde.

Obgleich scheinbar das iranische Regime und die Regierungen des Westens sich seither unversöhnlich einander gegenüberstehen, hat es immer wirtschaftliche Beziehungen gegeben, die diese Machthaber stützten – von Waffenverkäufen („Iran-Contra-Affäre“) der USA, über den „kritischen Dialog“ der Bundesregierung bis hin zur Lieferung von Elektroschockern in jüngster Zeit. Die Wirtschaftssanktionen sind völkerrechtswidrig und haben nur der Bevölkerung leidvolle Entbehrungen zugefügt. Es fehlt – soweit man nicht mit der herrschenden Rentiers-Klasse verbunden ist – an allem, sogar an basalen medizinischen Produkten. Zugleich haben die Revolutionsgarden auf Grundlage der Sanktionen über die Jahrzehnte eine (Schatten-)Wirtschaft aufgebaut, die sie in die Lage versetzt, gleichzeitig politische und ökonomische Herrschaft auszuüben, dafür ökonomische und physische Gewalt anzuwenden und jenseits jeglicher Kontrolle Geschäfte zu machen. Sie berauben ein reiches Land, das prosperieren könnte, und liefern es nach Belieben ihren wechselnden ökonomischen und militärischen Partner aus.

Befreiung, Frieden und weltweite Solidarität

Die Menschen im Iran wollen und können die tiefe Krise ihrer Gesellschaft selbst überwinden. Sie brauchen dafür die freie und gleiche politische Partizipation aller und die global zivilisierende, aufgeklärte und sozial befreiende Solidarität aller Bevölkerungen.

Der Iran ist integriert in das globale kapitalistische Ausbeutungssystem. Er ist Teil und oft auch Objekt des Machtkampfes um fossile Ressourcen, von deren zerstörerischem Gebrauch sich die ganze Menschheit lösen muss. Er beteiligt sich selbst an Kriegen um Einflusszonen in seiner Nachbarschaft.

Die Menschen haben über 100 Jahre lang erfahren, dass imperialistische Akteure den primären Zugriff auf die Ressourcen, besonders auf Erdöl und Erdgas, für sich beanspruchen. Die Regierungen der mächtigsten Länder der Welt duldeten bisher niemals die souveräne Entwicklung des Iran nach dem Willen und durch frei und demokratisch ausgetragene Kontroversen der Bevölkerung.

Es gibt keinen Grund, davon auszugehen, dass diese Regierungen, die zugleich Saudi-Arabien oder die Türkei Waffen liefern, denen das Sterben im Jemen gleichgültig ist, die den Diktator Aliev in Aserbaidschan hofieren und Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen, die im „Arabischen Frühling“ auf eine Weise Partei ergriffen haben, dass die Gesellschaften nahezu zerstört sind, jetzt ihren Einfluss wahrhaftig im Sinne von Menschenrechten, Demokratie und Frieden zur Geltung bringen würden.

Wir fordern deshalb alle Regierungen auf: Lasst die Hände weg vom Iran! Bringt Eure internationale Politik in Einklang mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen, den Menschenrechten und Euren eigenen Verlautbarungen!

Internationale Solidarität ist die Solidarität der Bevölkerungen, nicht der Herrschenden.

  • Wir fordern ernsthafte Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, die Destabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens zu beenden, ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen. Damit wird auch dem iranischen Regime eine wesentliche ökonomische und militärische Machtbasis entzogen.
  • Wir fordern insbesondere den Stopp jeglichen Handels mit Waffen sowie mit waffenfähigen und Überwachungs-Technologien.
  • Wir fordern alle auf, sich weltweit für die Unterzeichnung und Umsetzung des Atomwaffenverbotsvertrags (AVV) der Vereinten Nationen einzusetzen. Es geht um die Abschaffung aller Atomwaffen – weltweit.
  • Wir fordern die Einrichtung eines UN-Mechanismus zur Untersuchung und Ahndung von schweren und schwersten Menschenrechtsverletzungen im Iran.
  • Wir fordern einen sofortigen und dauerhaften Abschiebestopp.
  • Wir fordern ein vereinfachtes Asylverfahren. Geschlechtsspezifische und sexuelle Verfolgung sowie Konversion oder Konfessionslosigkeit müssen als Asylgründe anerkannt werden.
  • Das Recht auf Asyl muss für alle Menschen, endlich vollständig und unbürokratisch gelten.
  • Wir fordern die Medien, Wissenschaft, Kultur und Politik auf, differenziert und analytisch auf die Geschichte des Iran und der Region sowie der negativen Einflüsse imperialistischer Interessenpolitik bis heute einzugehen, damit alle für eine souveräne und friedliche Entwicklung daraus lernen können.
  • Wir fordern die Gewerkschaften auf, die Kooperation mit iranischen Gewerkschaften zu forcieren!
  • Wir fordern Politiker:innen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auf, sich für die Befreiung aller politischen Gefangenen einzusetzen und für diese Menschen dauerhaft öffentliche Aufmerksamkeit herzustellen!
  • Wir fordern die Hochschulen, Stiftungen und Wissenschaftsinstitutionen auf, wissenschaftliche Kooperation mit iranischen Hochschulen aufzunehmen und auszubauen, Studierende und Wissenschaftler*innen einzuladen und bestehende Kooperations-Verbote (z.B. bezüglich der Sharif Universität) zu beseitigen.
  • Wir fordern den Bundestag auf, die Mittel für auswärtige Kulturpolitik (z. B. für den Deutschen Akademischen Austauschdienst) nicht – wie geplant – zu kürzen, sondern zu erhöhen. Dabei sind auch Stipendienprogramme für Studierende aus Krisenregionen erheblich auszuweiten.
    Es muss demokratisch gewährleistet werden, dass zur Wahrung von Wissenschaftsfreiheit und Menschenrechten Förderung keine Co-Finanzierung von Thinktanks und Lobbyisten diktatorischer Regime ist.

Unsere Solidarität ist nicht auf die iranische Erhebung zu beschränken. Sie ist ein Teil internationaler Solidarität für Frieden, Menschenrecht und gerechte globale Zusammenarbeit zu verstehen. Beteiligt Euch an Veranstaltungen, Protesten und Diskussionen – damit wir alle weltweit dazu beitragen, eine solche Welt zu erkämpfen.

Hoch die internationale Solidarität!

Solidaritätserklärung als PDF-Datei