Vorstellung der Petition „Gemeinsam statt G20: Für Frieden und Gerechtigkeit“ im Verfassungs- und Bezirksausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft am 22.6.2017 

durch die Vertretungsberechtigten Artur Brückmann, Armin Günther und Golnar Sepehrnia

– Es gilt das gesprochene Wort. –

Liebe Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft,

liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

liebe interessierte Öffentlichkeit,

„G20 stoppen – demokratisch wirken: Für Frieden und Gerechtigkeit!“ ist der Titel der Petition, die wir hier heute zu vertreten haben. Wir haben 14.548 Unterschriften gesammelt, von denen 10.074 gewertet wurden. Wir haben nicht allein in den Hamburger Hochschulen, sondern auch auf Märkten und in Parks, vor Bibliotheken und bei Sportveranstaltungen, auf Straßenfesten und Flohmärkten gesammelt und dabei mit einem ganz repräsentativen Querschnitt der Bürgerinnen und Bürger Argumente ausgetauscht: mit Sekretärinnen und Polizisten, Feuerwehrleuten und Gastwirten, Kaufleuten und Soldaten, Beschäftigten der Krankenhäuser und der Verwaltung, mit Lehrern, Erwerbslosen, Erzieherinnen und Professorinnen.

Alle Unterzeichnenden erklären:

„Mit meiner Unterschrift trete ich ein:

  • für verstärkte staatliche Investitionen in Arbeit, Bildung, Kultur und Gesundheit
  • für weltweite Solidarität und die Schaffung von Frieden mit zivilen Mitteln,
  • für eine gleichberechtigte Verständigung aller Länder zur Verwirklichung von Völker- und Menschenrecht im Rahmen der UNO

statt eines elitären G20 Gipfels. Ich fordere die Hamburgische Bürgerschaft und den Senat auf, diese Alternative aufzugreifen, zu diskutieren und den G20-Gipfel in Hamburg abzusagen!“

Für diese Diskussion sind wir heute hier.

Sie können sich vorstellen, dass der Unmut in der Bevölkerung über die Politik der G20 und ihre Machtdemonstration im Herzen der Stadt riesengroß ist. Wir werden heute die wichtigsten Gründe dafür vorstellen.

Im Zentrum steht dabei dies:

Es gibt in allem eine bessere Alternative

–           in Hinblick auf die Verständigung der Völker und die Möglichkeiten, Frieden zu schaffen,

–           in Hinblick auf das Verhältnis zwischen den reichen, industrialisierten Ländern und des globalen Südens,

–           in Hinblick auf eine präventive, sichere Gesundheitsfürsorge für alle Menschen,

–           in Hinblick auf das Weltwirtschaftssystem und

–           in Hinblick auf den Modus und den Ort internationaler Diplomatie.

Weil das so ist, wäre ein Referendum über einen G20-Gipfel in Hamburg niemals positiv ausgegangen. Aber die Bürgerinnen und Bürger sprechen auch, wenn sie nicht gefragt werden. Wir artikulieren unsere Auffassung begründet und vielfältig. Und: Wir laden mit dieser Petition unsere Abgeordneten, unsere Vertreterinnen und Vertreter in der Bürgerschaft ein, sich dieser Meinungsbildung anzuschließen.

  1. Ist es nicht doch besser, wenn die Staatschefs miteinander reden als die Bevölkerungen aufeinander schießen zu lassen?

In den letzten Monaten wird häufig die Hamburgische Landesverfassung bemüht, um den G20-Gipfel öffentlich zu rechtfertigen. In dem Manifest unserer Kampagne heißt es richtigstellend dazu:

„»Die Freie und Hansestadt Hamburg hat als Welthafenstadt eine ihr durch Geschichte und Lage zugewiesene, besondere Aufgabe gegenüber dem deutschen Volke zu erfüllen. Sie will im Geiste des Friedens eine Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt sein.« So beginnt die Hamburgische Verfassung. In diesem Sinne wirken wir, Hamburgerinnen und Hamburger aus aller Welt, zusammen: Für Abrüstung und friedliche weltweite Beziehungen, für sinnvolle Arbeit und sozialen Fortschritt, für Bildung, Kultur und Gesundheit und für eine nachhaltige Wirtschaftsweise. Vielfältig engagieren wir uns: Für den Stopp von Privatisierungen, gegen teure Inszenierungen von Glanz und Gloria, für echte Demokratie, für die Erneuerung von Sozialstaatlichkeit. Das verbindet uns mit Menschen in der ganzen Welt.“

Diese Stadt bedarf keines elitären Gipfels, um ihre Internationalität zu leben. Internationalität – d.h. Weltoffenheit, Austausch, Migration, Verständigung und Solidarität – sind längst alltäglich. Sie ist sogar das Wesen dieser Stadt. Und gerade aus dieser Haltung lehnen wir die G20 ab.

Man beachte: in der Verfassungspräambel heißt es, dass Hamburg „eine Mittlerin zwischen allen Erteilen und Völkern der Wel seinwill. Es heißt nicht: Zwischen den Mächtigen und ihren Regierungen.

Das ist weder Zufall noch hohles Pathos. Vielmehr handelt es sich um eine kondensierte politische Schlussfolgerung aus den Erfahrungen von 1933 bis 1945. Internationale Diplomatie in Form von Appeasement vermochte nicht, den Weltkrieg zu verhindern; sie half nicht gegen Nationalismus und Militarismus, nicht gegen Rassismus, Gewalt und machtgestützte Gier. Die Völker sollten nach 1945 daher vor allem selber sprechen – und zwar miteinander. Was könnte gegenwärtig notwendiger sein, als dies wertzuschätzen und zu fördern?

Wir werden zeigen, dass die Staats- und Regierungschefs der G20 sich treffen, um sich gegen die Bevölkerungen aller Länder der Welt verständigen.

Zuerst stellen wir die völkerrechtliche Legitimität der G20 in Frage:

  1. Mangelnde völkerrechtliche Legitimität und UNO als Alternative

Als 1945 durch eine Initiative F. D. Roosevelts und auf Basis der Vier-Mächte-Vereinbarungen die Vereinten Nationen ins Leben gerufen wurden, ging es darum, eine Welt, in der in 6 Jahren 57 Millionen Menschen getötet wurden zu beenden. Es sollte eine internationale Gemeinschaft sein, in der Gewalt, Not und Angst gebannt sind; in der es keine Kriege mehr gibt. Das internationale Völker- und Menschenrecht beschreibt seither den Horizont dieser für unsere Zivilisation notwendigen Entwicklung. Es ist in der Bundesrepublik verbindliches Recht. Es ist in allen Weltteilen hoch geschätzt. Und es ist die einzig legitime und legale Grundlage internationaler Diplomatie.

Die G20 bewegt sich jenseits dieses Völkerrechts. Sie existiert parallel zur und gegen die UNO sowie zu Weltbank, Welthandelsorganisation und Internationalem Währungsfonds, die ihrerseits alle auf völkerrechtliche Grundlagen verweisen können.

Die G20 hat keine geregelten oder gar transparenten Institutionen, kein ständiges Sekretariat und kein Budget. Es handelt sich um das, was die Politische Wissenschaft als „Club-Diplomatie“ bezeichnet.
In einer Analyse des Hamburger Instituts für Global- und Regionalstudien GIGA heißt es treffend: Die G-Foren stehen folglich nicht für eine gemeinsame Aushandlung von Regelwerken, die von der Weltgesellschaft als solcher als legitim anerkannt werden würden. Vielmehr handelt es sich um partiell hegemoniale Strukturen, welche die nationalen Interessen einzelner Akteure beziehungsweise Akteursgruppen abbilden.[1]

Die G20 besteht aus den Ländern der G7, die nach den Finanzkrisen der 1990er Jahre und der Weltwirtschaftskrise von 2007/08 12 weitere Staaten und die EU-Institutionen ins Boot geholt haben. Die Mitgliedschaft wurde quasi auf Zuruf gewährt und orientiert sich an der Erwartung der G7-Regierungen, dass die Neuen als Brückenköpfe ihrer Interessenpolitik fungieren. Es gibt kein nachvollziehbares Kriterium, nach dem neue Staaten aufgenommen werden könnten, nach welchem Länder ihre Mitgliedschaft einbüßen oder als Gäste eingeladen werden können.

Die Willkür ist Prinzip.

Sie begründet innerhalb der G20 ein Machtgefälle zugunsten eines von der G7 dominierten Weltwirtschaftssystems und auf Kosten aller anderen Staaten, der Bevölkerungen und der Vereinten Nationen.

Das ist weder legitim noch durch irgendetwas legalisiert.

Ein Beispiel für das Untergraben der UNO durch die Machtpolitik der G-Staaten ist folgendes: Auf Initiative von Mexiko und Österreich debattiert die UNO seit letztem Jahr über eine weltweite Ächtung aller Atomwaffen. Es sind vor allem die Vertreter aus der G20, die – angeführt von den USA – diese notwendige Initiative und einen entsprechenden Beschluss der Generalversammlung sabotieren. Auch die Bundesregierung unterstützt diese Initiative nicht. Ein entsprechender Beschluss kommt jetzt – vorerst – nicht zustande.

Das möglicherweise bitterste Beispiel für die Gefährlichkeit der Hegemoniepolitik der G20 und darin der konfrontativen Interessenaushandlung der Großmächte ist wahrscheinlich Syrien. Als 2015 der zweite UN-Sonderbeauftragte Lakhdar Brahimi zurücktrat, erklärte er, „er habe zu große Erwartungen in die Vereinigten Staaten und Russland gesetzt (…). So sei es ihm lediglich gelungen, die beiden Mächte dazu zu bewegen, ihre jeweilige Partei an den Verhandlungstisch zu zwingen, mehr aber nicht. Er aber habe gehofft, dass Washington und Moskau ihre jeweilige Partei auch dazu brächten, ernsthaft miteinander zu verhandeln. Jedoch sei jeder nur mit seinem Klienten beschäftigt gewesen und habe nicht an das syrische Volk gedacht.“[2]

Die Veto- und Großmächte des UN-Sicherheitsrats, die heute oft einer zivilen Konfliktüberwindung entgegenstehen, sind Teil der „Group of Twenty.“

Gleichwohl sind in der UNO 193 Nationen vertreten. In der Vollversammlung sind sie absolut gleichberechtigt. Die gemeinsame Handlungsgrundlage aller ist die Menschenrechts-Charta. Daher ist die UNO diejenige globale Organisation von Staaten, in der nicht – mehr oder weniger offen – der erste Zweck die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen ist, sondern der Weltfrieden, wie es in Art. 1 der UN-Charta heißt.[3]

In der Beschreibung der Bundesregierung der „Schwerpunkte des G20-Gipfels 2017“ wird dagegen die entgegengesetzte Priorität des elitären Clubs verdeutlicht: „Auf dem Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise haben wir uns gemeinsam dafür ausgesprochen, dass Wettbewerb die Weltwirtschaft bestimmt und der Welthandel offen bleibt.“

Ein Friedens- und Entwicklungsgipfel der UNO ist deshalb bei aller Widersprüchlichkeit – auch in Hamburg – eine vernünftige Alternative zum Club der G20 auf zwischenstaatlicher Ebene.
Friedensdemonstrationen wird es dann sicher auch gegeben, sicher auch Initiativen zu einer Demokratisierung der Organisation der Vereinten Nationen, aber keinen massenhaften, wohlbegründet scharfen Protest.

 

  • Weltweite Solidarität und die Schaffung von Frieden mit zivilen Mitteln

Der Politik der G20 setzen all jene Bürgerinnen und Bürger dauerhaft etwas entgegen, die sich in der Friedensbewegung engagieren.

So fordert die „Hamburger Initiative gegen Rüstungsexporte“, dass sich die Stadt künftig am Leitbild eines zivilen Hafens orientieren möge. Denn durch den Hamburger Hafen werden jährlich etwa für 400 Millionen Euro Waffen und 1.000 Container Munition verschifft.[4]

Aus dem Rüstungsexportbericht der Bundesregierung 2016 geht hervor, dass sie die Ausfuhr von Rüstungsgütern in Höhe von rund 6,85 Milliarden Euro genehmigte. Es ist der zweithöchste Genehmigungswert der Geschichte. Auf Platz drei der Empfängerländer lag Saudi-Arabien.
Die gebilligten Kriegswaffenausfuhren hatten 2016 einen Wert von 2,5 Milliarden Euro. Die meisten Kriegswaffen wurden nach Algerien und zum neuen saudischen Erzfeind Katar exportiert.

Bei ihrem Besuch in Saudi-Arabien vor einigen Wochen unterhielt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem saudischen König Salman bin Abdelasis Al-Saud. Von amnesty international werden immerfort Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien angeklagt. Beispielsweise die Todesstrafe (Köpfen mit dem Säbel) und die Prügelstrafe (Stockhiebe) bei Oppositionellen. Der aggressive Feudalstaat setzt deutsche Waffen auch gegen den Jemen ein. Dabei werden immer wieder Krankenhäuser, Hochzeitsgesellschaften oder Trauerfeiern getroffen; mit Booten auch aus Deutschland wird eine Blockade durchgesetzt, die zu bald hunderttausenden Hungertoten führen kann. Längst wütet in dem über Jahrtausende kultivierten Land eine Choleraepedimie.

Obgleich die Kanzlerin dies unschön findet, soll die Bundeswehr hinkünftig saudische Militärs hierzulande ausbilden. Auch das polizeiliche Zusammenwirken ist vereinbart worden – im Grenzschutz, bei der Bahnpolizei und bei der Luftsicherheit.

Aber: Der Druck der Friedens- und Menschenrechtsbewegung bewirkt bereits, dass Saudi-Arabien die Bundesregierung künftig nicht mehr um Waffenlieferungen bitten will.[5]

Viel wichtiger sind nun die zivilen Wirtschaftsbeziehungen zur BRD zwecks Modernisierung der saudischen Ökonomie, weil der Ölpreis zur Zeit recht niedrig ist und die Ölquellen endlich sind. Die Waffen lassen sich schließlich über andere Orte bzw. über Umwege beschaffen: „Panzer, Artillerie, Helikopter, Schiffe, ein Raketenabwehrsystem: 110 Milliarden Dollar will Saudiarabien in den nächsten Jahren für amerikanische Rüstungsgüter ausgeben. Präsident Donald Trump sprach anlässlich seines Staatsbesuchs am Wochenende von ‚gewaltigen Investitionen in die USA und unser Militär‘. Das amerikanische Aussenministerium erklärte, die Waffenverkäufe dienten dazu, die Sicherheit Saudiarabiens angesichts des „bösartigen“ Einflusses Irans zu gewährleisten. Der saudische Aussenminister Adel al-Jubeir sprach von einem Wendepunkt in den Beziehungen zwischen den USA und Saudiarabien.“[6]

Da mutet es geradezu praktisch an, dass sich Wirtschafts- und Regierungsdelegationen aus den USA, der Bundesrepublik und Saudi-Arabien in Hamburg treffen können, um den reibungslosen Kurswechsel der Geschäftspolitik, des Nachschubs für den Krieg gegen Jemen und die Kriegsdrohungen gegen den Iran zu koordinieren.

Die zarte Alsterkulisse zwischen dem Gästehaus des Senats, dem Atlantic-Hotel und dem vom Saudischen Monarchen komplett gebuchten Hotel Vier Jahreszeiten wird die barbarische Obszönität dieser Zusammenhänge nicht mildern, sondern nur stärker hervorheben.

Die Friedensbewegung und die Studierendenbewegung engagieren sich gemeinsam: für einen Stopp von Rüstungsproduktion, -exporten und -forschung – in Hamburg, für die Welt. Die Forderungen nach einer gesetzlichen Zivilklausel für den Hafen und einer Zivilklausel für die Hochschulen zeigen auf, was – im Gegensatz zum Kriegsgipfel der G20 – wirklich Frieden schafft.

  1. Verstärkte Investitionen in Arbeit, Bildung, Kultur und Gesundheit statt Schuldenbremse und Verschwendung

In diesem Abschnitt will ich das Element der verstärkten staatlichen Investitionen in Arbeit, Bildung, Kultur und Gesundheit ausführen und zeigen, wieso dies notwendigerweise mit der Absage des Politikprinzips und des Gipfels der G20 verbunden ist.

In dem Manifest „Gemeinsam statt G20“ haben wir geschrieben: „Wir treten dafür ein, Verkehrswege und öffentliche Gebäude zu sanieren und auszubauen! Wir treten für ausreichend günstigen und guten Wohnraum in öffentlicher Verantwortung ein! Wir treten dafür ein, die Tarife und Personalmittel im öffentlichen Dienst erheblich zu steigern! Wir treten dafür ein, dass Bildung, Wissenschaft und Kultur großzügig öffentlich finanziert werden! Wir treten dafür ein, Gesundheit und Pflege künftig (wieder) in öffentliche Hand zu legen!“ Mit diesen Ambitionen stehen wir in der Kontinuität vieler Manifestationen der Hamburger Bevölkerung gegen die Kommerzialisierung des Öffentlichen: dem Rückkauf der Netze, der Abschaffung der Studiengebühren, dem klaren Nein zum Verkauf der Landes-Krankenhäuser und zuletzt dem Ja zu NOlympia.

Die G20 steht für Kürzungen und Privatisierung des Sozialstaats sowie Deregulierung. Das wird durch einen Blick in die Geschichte sehr deutlich: Nach expansiver Fiskalpolitik in einigen Staaten als Reaktion auf die Finanzkrise und massive Sozialproteste weltweit, wurde beim Austerity-Gipfel 2010 in Toronto vereinbart, systematisch die Kosten der Bankenkrise auf Bevölkerungen und Staatshaushalte abzuwälzen. So kürzten laut einem Arbeitspapier der ILO im Jahr 2009 ‚nur‘ 45 Staaten ihre Ausgaben, während im Jahr 2010 in 111 Ländern und 2011 in 115 Ländern gekürzt wurde.

Es ist also gegenüber dem klar artikulierten Willen von uns Hamburgerinnen und Hamburgern eine Provokation, diesen Austeritätsgipfel in unsere Stadt zu holen. Ich will das einmal am Bereich Gesundheit exemplarisch verdeutlichen. In der Grundsatzerklärung der Weltgesundheitsorganisation heißt es: „Die Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. Der Besitz des bestmöglichen Gesundheitszustandes bildet eines der Grundrechte jedes menschlichen Wesens, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Anschauung und der wirtschaftlichen oder sozialen Stellung.“

Dies ist nur zu verwirklichen durch eine gut ausgebaute öffentliche Daseinsvorsorge, die allen Gesellschaftsmitgliedern gleichen Zugang per Rechtsanspruch zusichert. Durch die neoliberale Kürzungspolitik wird diese Realisierung des Menschenrechts auf Gesundheit massiv angegriffen.

Das Hamburger Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus schreibt: „In der Zeit von 1995 bis 2015 wurden über 30.300 Pflegekräfte (Vollzeitstellen) in den Krankenhäusern Deutschlands abgebaut. Das macht ein Minus von ca. 8,7 Prozent. In der gleichen Zeit ist die Belastung der Pflegekräfte um fast ein Drittel (ca. 32 Prozent) gestiegen, gemessen an der Zahl der zu versorgenden Patientinnen. Ver.di stellte 2013 fest, dass bundesweit 162.000 Vollzeitstellen fehlen. Das sind 4.200 für Hamburg.“

Nach Schätzungen des bundesweiten Aktionsbündnisses Patientensicherheit sterben in 0,1 Prozent der Krankenhausfälle Patientinnen durch vermeidbare Fehler. Bei 19,2 Mio. Behandlungen im Krankenhaus im Jahr 2015 sind das ca. 19.200 Menschen. Das Bündnis schreibt dazu: „Die Ursachen sind eng verbunden mit den Privatisierungen, von denen insbesondere Hamburgerinnen ein Lied singen können.“ Austerität tötet, wie wir auch wieder jüngst bei der fahrlässigen Tötung von über 80 Menschen bei dem Hochhausbrand in London sehen mussten.

Die Ursache für die permanente Zerstörung der Menschenwürde sind nicht nur in Hamburg, sondern weltweit das Profit- und Marktprinzip und die Kürzungen im Gesundheitsbereich. Die Politik der G20 steht für „Gesundheit als Ware“, mit der sich in Form von zu bezahlenden Dienstleistungen prächtige Gewinne erzielen lassen. Bei diesem Gipfel hat die deutsche Bundesregierung „Gesundheit“ zu einem Schwerpunktthema erklärt. Im offiziellen Bericht des Bundesgesundheitsministeriums über ein Treffen sog. GesundheitsexpertInnen aus den G20-Staaten heißt es: „Die G20 Gesundheitsexperten waren sich einig: Gesundheit ist Voraussetzung und Motor für eine wirtschaftliche Entwicklung. Und damit zentral für die G20.“ Gesundheit ist für die G20 also nur unter dem Aspekt der ökonomischen Nützlichkeit interessant. Die Konsequenzen dieser Gesundheitspolitik sind auch global verheerend: So werden laut medico international jedes Jahr 100 Mio. Menschen weltweit unter die Armutsgrenze getrieben, weil sie für ihre Krankheitskosten nicht aufkommen können. In Griechenland führten die Schreckensprogramme der Troika – die im Gesundheitsbereich vom deutschen Gesundheitsministerium als „Domain Leader“ diktiert werden – zu einer Kürzung des Gesundheitsbudgets um 40%, der Entlassung von 50% der ÄrztInnen und ein Drittel der Bevölkerung hat keine Krankenversicherung. Die Säuglingssterblichkeit, Suizide und Depressionen explodierten.

Damit werden die in der UN-Menschenrechtscharta, dem Grundgesetz oder dem UN-Sozialpakt gefassten Menschheitspfeiler mit Füßen getreten und auf dem Altar des Marktes geopfert.

Als Zivilbevölkerung arbeiten wir längst an den wirklichen Lösungen für die globalen Probleme. Auch im Gesundheitsbereich. Angefangen bei der Streikbewegung für eine Mindestpersonalbemessung im Krankenhaus und dem Engagement für die Rekommunalisierung der Krankenhäuser über die solidarischen, selbstorganisierten Kliniken, die Gesundheit als soziale Frage ins Zentrum stellen bis hin zu globalen Initiativen für die Abschaffung des Patentrechts auf Medikamente. Das Grundrecht auf Gesundheit kann nur durch eine öffentliche Infrastruktur realisiert werden.

Wir fordern daher die Hamburgische Bürgerschaft und den Senat dazu auf, die Krankenhäuser wieder in öffentliche Hand zurückzuholen, damit sie nicht länger privatem Profitkalkül unterliegen, sondern als Zweck der Organisation die Gesundung von Menschen haben.

Und bevor jetzt irgendwer anfängt zu erzählen, die Stadt habe kein Geld, dann möchte ich zum Abschluss noch einmal den Fokus auf die Kosten der Durchführung dieses Wahnsinns-Gipfels richten. Während der Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns von Kosten in der Höhe von 300 Mio. € nur für die sog. „Sicherheit“ ausgeht, sprach das Hamburger Abendblatt vor einigen Monaten von 750 Mio. € und der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Hansmann von der Universität Hamburg geht von Kosten in der Höhe einer zweiten Elbphilharmonie aus. Wie das mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder dem Haushaltsrecht des Parlaments zusammengeht, für einen nicht legitimierten Gipfel, der ohne Parlamentsbeschluss hier in Hamburgs Innenstadt stattfinden soll, kann selbstverständlich niemand erklären. Wir schlagen also vor, den Gipfel kommenden Mittwoch per Bürgerschaftsbeschluss abzusagen bzw. die Absage auf den Weg zu bringen und mit dem gesparten Geld dann die Krankenhäuser zurück in öffentliche Hand zu holen! Und als nächstes gehen wir dann an die Schuldenbremse ran und erhöhen die Mittel im öffentlichen Bereich massiv und dauerhaft. Denn Geld ist genug da in einer Stadt, in einer Stadt in der 48.000 MillionärInnen und 11 Milliardäre leben.

  1. Die Grundrechte verwirklichen – Wider den Ausnahmezustand

Wir haben gezeigt, dass die G20 nicht dazu beiträgt, die vorgeblichen Ziele des Gipfels zu verwirklichen, dass sie sogar der Verwirklichung von Grund- und Menschenrechten und der Einhaltung des Völkerrechts entgegen handelt.

Eine so bevölkerungsfeindliche Veranstaltung ist nicht mit demokratischen Mitteln durchzusetzen. Die politische Entscheidung, diesen Gipfel im Herzen unserer Stadt durchzuführen ist deshalb gleichbedeutend mit der Entscheidung einen Ausnahmezustand herbeizuführen.

Das ist keine Lappalie. Ein Ausnahmezustand ist die teilweise oder vollständige zeitweilige Außerkraftsetzung der verfassungsmäßigen Ordnung. Selbst unter den konservativsten Juristen gilt er nur dann als legitim, wenn er wenigstens dem Anschein nach der Widerherstellung der Verfassung dient.

In der Bundesrepublik gibt es ihn gar nicht, weil die Schöpfer unseres Grundgesetzes aus der Politik vor 1933 gelernt hatten, dass mit Notverordnungen der Faschismus herbeiregiert werden kann. Obgleich diese Klarheit durch die Notstandsgesetze eingeschränkt wurde, gilt weiterhin: Ein Notstand darf nur als Reaktion auf etwas wie einen Katastrophenfall, einen Angriff von außen und oder ähnliche erschütternde Gefährdungen ausgerufen werden.

In unserem Fall aber wird der Ausnahmezustand von den Regierenden und der Polizeiführung vorsätzlich und zielgerichtet herbeigeführt. Der Angriff auf die Grundrechte und den Lebensnerv dieser Stadt geht von der Organisation dieses Gipfels aus, nicht von irgendwem anders. Diese Art von „Notstand“ ist außergesetzlich und in der Bundesrepublik damit verfassungsbrüchig.

Der deutlichste Ausdruck dessen mag die polizeiliche Allgemeinverfügung sein, in der systematisch aufgezeigt wird, dass der Gipfel ohne Grundrechtseinschränkung in großem Maßstab hier nicht möglich ist.

Die Durchführung des Gipfels in Hamburg ist nirgendwo demokratische entschieden worden, sondern beruht dem Vernehmen nach auf Einzelentscheidungen der Kanzlerin und des Bürgermeisters. Selbst wenn dies im Rahmen ihrer Regierungausübung rechtmäßig erscheinen mag, sind sie an die Verfassung, an das Wohl von Stadt und Land und die Beachtung der Verhältnismäßigkeit gebunden.

Aber für eine schädliche internationale Politik das öffentliche Leben lahmzulegen, die Bevölkerung zu gefährden und öffentliche Einnahmen zu verschwenden ist keine legitime Verhältnismäßigkeit.

Hamburg ist wohlhabend, ziemlich aufgeklärt und weltoffen. Die Bürgerinnen und Bürger sind mehrheitlich hochqualifizert, engagiert und sozial sehr aufmerksam. Es ist ein wenig anmaßend, diese Qualität der Stadt für ein Welttreffen von Misanthropen und Korrupten auszunutzen und sich dann auf die Fahnen zu schreiben, man habe doch alles irgendwie im Griff.

Ein „Festival der Demokratie“ wie es der Innensenator angekündigt hat, wird es nur ohne die G20 und ohne die Gewalt und Menschenverachtung ihrer Politik gegen.

In dem Manifest unserer Kampagne heißt es: „Argumente, Diskussionen, gut ausgebaute inklusive Schulen, weltoffene Hochschulen, gedeihende soziale und Kultureinrichtungen und eine engagierte aufgeklärte Öffentlichkeit sind das Herzstück der Demokratie – nicht ein Überwachungsstaat.“

Nach unserer Auffassung ist die Verantwortung aller Politiker und Politikerinnen dieser Stadt: Das Wohl der Stadt zu schützen und zu mehren anstatt es aufs Spiel zu setzen.

Wir schlagen deshalb vor, dass die Bürgerschaft feststellt:

Der Gipfel der G20 in Hamburg ist undemokratisch, unverhältnismäßig kostspielig und eine unzumutbare Belastung für die Stadt und ihre Bürgerinnen und Bürger. Er wird deshalb abgesagt.

  1. Schluss

Im Herbst 1946 schrieb der Hamburger Schriftsteller Wolfgang Borchert in seiner Erzählung „Im Mai, im Mai schrie der Kuckuck“ einige programmatische Zeilen, die ausdrücken, worum es auch uns geht:

„Und die neue Stadt, das ist die Stadt, in der die weisen Männer, die Lehrer und die Minister, nicht lügen, in der die Dichter sich von nichts anderem verführen lassen, als von der Vernunft ihres Herzens, das ist die Stadt, in der die Mütter nicht sterben und die Mädchen keine Syphilis haben, die Stadt, in der es keine Werkstätten für Prothesen und keine Rollstühle gibt, das ist die Stadt, in der der Regen Regen genannt wird und die Sonne Sonne, die Stadt, in der es keine Keller gibt, in denen blaßgesichtige Kinder nachts von Ratten angefressen werden, und in denen es keine Dachböden gibt in denen sich die Väter erhängen, weil die Frauen kein Brot auf den Tisch stellen können, das ist die Stadt, in der die Jünglinge nicht blind und nicht einarmig sind und in der es keine Generäle gibt, das ist die neue, die großartige Stadt, in der sich alle hören und sehn und in der alle verstehn: mon coeur, the night, your heart, the day, der Tag, die Nacht, das Herz.“

Seit 1946 bis heute ist diese aus dem Nein zum Krieg geborene Utopie für Hamburg noch nicht umfassend erfüllt, obgleich der Unterschied zu den Trümmer- und Hungerlandschaften von damals enorm ist. Dass das Bedürfnis nach gerechtem Frieden aber wirklich eingelöst wird, hier und in Bamako, Sanaa und Mossul, in New Orleans und Donetsk, das erfordert unser aller Opposition zur G20 – parlamentarisch und außerparlamentarisch menschlich.

So und nur so erfüllen wir den Auftrag der Hamburgischen Verfassung, unsere Stadt möge im Geiste des Friedens Mittlerin zwischen allen Weltteilen und Völkern sein.

Nehmen Sie mit uns diese Alternative wahr.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[1] Nele Noesselt: Multilaterale Alleingänge? Die G20 als globales Forum nationaler Politik, in: GIGA Focus Global, Nummer 10, 2014. Abgerufen am 22.6.2017 unter: https://www.giga-hamburg.de/de/system/files/publications/gf_global_1410.pdf.

[2] Rainer Hermann: Rücktritt Lakhdar Brahimis. Mission impossible, faz.net am 14.5.2014. Abgerufen am 22.6.2017 unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/ruecktritt-lakhdar-brahimis-mission-impossible-12939071.html.

[3] Charta der Vereinten Nationen. Abgerufen am 22.6.2017 unter: http://www.unric.org/de/charta.

[4]Vgl. Hamburger Initiative gegen Rüstungsexporte. Abgerufen am 22.6.2017 unter: www.hamburger-initiative-gegen-rüstungsexporte.org/.

[5] Deutsche Presseagentur/Reuters: Bundesregierung. Saudi-Arabien will keine deutschen Waffen mehr kaufen, ZEIT ONLINE am 30.4.2017. Abgerufen am 22.6.2017 unter: http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-04/bundesregierung-saudi-arabien-waffenlieferungen-genehmigungen.

[6] Samuel Misteli: Waffenverkäufe an Saudiarabien. Trump dreht an der Rüstungsspirale, Neue Zürcher Zeitung Online am 22.5.2017. Abgerufen am 22.6.2017 unter: https://www.nzz.ch/international/waffenverkaeufe-an-saudiarabien-trump-dreht-an-der-ruestungsspirale-ld.1295707.