Autorin: Irina Troitskaya, 10.07.2020

Für ganz viele ist es immer noch unklar, was „die internationalen Studierenden“ heißen soll. Sind es die, die einen Migrationshintergrund haben? Nein, nicht vor allem. Wir sind etwas anderes. Wir haben die gleichen Probleme wie alle Studierenden, aber halt oft härter. Warum? Weil wir meistens keinen europäischen Pass haben, deutsch meist nicht unsere Erstsprache ist und wir oft aus weiteren Gründen diskriminiert werden. In der Wohnungsproblematik werden wir oft zum Beispiel durch Vermieter benachteiligt, denen unsere Namen schon nicht passen. Wir haben ständig die stressige Auseinandersetzung mit der Ausländerbehörde, die uns im Nacken sitzt und ein fristgerechtes Studium fordert, denn wir dürfen nicht mehr als zehn Jahren in Deutschland studieren. Um die Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, brauchen wir den dafür geforderten finanziellen Nachweis der Lebenshaltungskosten und zwar mittlerweile über 10000 Euro auf einem Sperrkonto.

Zweifellos gibt es solche internationalen Studierende, die auch nach deutschen Maßstäben zum „Establishment“ gehören. Die meisten sind aber ganz andere Menschen. Es sind Studierende, die das Studium in Deutschland als eine Chance ansehen, wirtschaftlich und politisch instabilen oder armen Ländern zu entkommen oder dort mit ihrer hier erworbenen Qualifikation entwicklungspolitisch nützlich zu sein. Aufgrund der wachsenden militärischen Konflikte kommen immer mehr Menschen aus aktuellen und zukünftigen Kriegsregionen. Die meisten, die in RIS-Sprechstunden kommen, sind aus Ländern der sogenannten „ Dritten Welt“. Es gibt zwei Gruppen. Die erste besteht aus ehemaligen Au-pairs und Teilnehmer*innen des Sozialen Jahres. Für viele ist das die einzige Möglichkeit, ins Ausland zu fahren, wenn man nicht aus einem EU-Land kommt. Das entsprechende spezielle Visum kann in ein Studentenvisum umgewandelt werden. Die zweite Gruppe bilden die Menschen, die entweder politisch verfolgt werden oder aus Kriegsregionen geflohen sind. Manche von uns haben schon im Herkunftsland einen fertigen Studienabschluss. Ab dem ersten Semester fängt man an zu arbeiten. Selbstverständlich keine guten Jobs. Man arbeitet meist im Service- und Gastrobereich, als Kindermädchen, Kellnerinnen, Hotel- Mitarbeiter*innen, Türsteher, „Putzfeen“ oder „Versuchskaninchen” in Testlabors für Nahrungsmittel und Kosmetik. Die Jobs sind durch prekäre Arbeitsbedingungen, Rassismus und Diskriminierung gekennzeichnet. Mit Überstunden, „ schwarzer“ Entlohnung und Schweigen hat man keine Rechte, man kriegt nur etwas Geld fürs Studium zusammengekratzt. Diese Jobs sind während der Corona-Krise als erste ausgefallen und entstehen teilweise erst als letzte wieder.

Für das WiSe 2019 wurde das BAföG auf 850 €/mtl. erhöht. Dieses Gesetz kann man herzlich begrüßen. Nur, damit wird ebenfalls erwartet, dass internationale Studierenden, die gar keinen BAföG-Anspruch haben, den gleichen Betrag jeden Monat als sicheres Einkommen nachweisen – und zwar für 12 Monate, also über 10.000€ auf einmal! Diese politische Entscheidung ist für internationale Studierende mit einem Aufenthaltstitel nach § 16 AufenthG unzumutbar. Für uns ist vorgeschrieben, dass wir nicht mehr als 20 Std/W arbeiten dürfen. Gleichzeitig wird aufenthaltsrechtlich verlangt, dass wir 850€ Einkommen nachweisen. Sonst wird die Visumsverlängerung erschwert. Wie ist das zu schaffen? Man hat kaum angefangen zu studieren und steht von solchen Überforderungen.  Wir im RiS kennen alle diese Probleme. Wir kämpfen um erheblich bessere soziale Bedingungen (Wohnheime, Finanzierung), um Gebührenfreiheit (auch der Sprach-/Intensivkurse!), um persönliche Entfaltung und gesellschaftliche Verantwortung von Bildung und Wissenschaft.

Warum sind wir heute hier?

Durch die Corona-Krise sind wir stark betroffen. Wir haben unsere Jobs verloren, wir können die Studentenwohnheime nicht bezahlen, wir haben keinen richtigen Kontakt zu Kommilitonen (wenn sie überhaupt mit uns reden), keinen Kontakt zu den Uni-strukturen. Das Corona-Notfall-Darlehen des Studierendenwerks war keine Hilfe, sondern eher ein schlechter Witz. Mit dem Darlehen werden die Studierenden in eine Schuldenfalle gedrängt; kaum internationale Studierende haben es beantragt; die meisten sind nicht mal berechtigt. Die meisten internationalen Studierenden können es nämlich nicht beanspruchen, weil wir wegen Schwarzarbeit / Kurzbeschäftigungsarbeit / auf Rechnung-Arbeit nicht nachweisen können, dass wir unser Einkommen verloren haben, oder wir haben angeblich „zu viel“ Geld auf dem Konto – nämlich für den Finanzierungsnachweis bei der Ausländerbehörde!

Dasselbe Problem gilt jetzt leider bei der staatlichen Überbrückungshilfe. Zwar muss das Geld hier nicht zurückgezahlt werden, aber man erhält den Betrag, den man auf dem Konto hat, auf höchsten €500,- aufgestockt. Wer kann in Hamburg von diesem Geld einen Monat leben???

Was wir fordern?

Wir fordern internationale Solidarität, denn nur so können wir die Probleme aller lösen. Wir sind auch ein Teil der deutschen Gesellschaft, schon dadurch, dass die deutsche Waffen in unsere Länder gesendet werden, deutsche Politiker kommen zu unseren Ländern, wo wir selbst politisch verfolgt werden, und grüßen unsere Diktatoren (Russland, Brasilien und viele andere), deutscher Atommüll und anderer Müll wird zu uns geschickt. Hier kämpfen wir dafür, dass gegen dieses Unrecht eine menschenwürdige Weltgesellschaft entsteht!

Durch die Regeln mit dem Aufenthalt, dem BAföG etc. wird dagegen die Konkurrenz zwischen uns Studierenden, zwischen „Migrant“, „international“, „deutsch“ – geschürt. Der Konkurrenzdruck von „Oben“ steht gegen unsere menschliche Ethik der Solidarität und die darauf gegründete Kooperation, weil das Verständnis der objektiven Notwendigkeit der Solidarität aus den anderen wirklichen Mit-Menschen macht, auch Mit-Streiter, und keine Gegner!

Die Solidarität geht von der grundsätzlichen Gleichheit der Menschen aus. Diese Situation fordert die Studierenden aller Länder, solidarisch für gemeinsame Interessen aufzutreten, wie sie das schon in jüngster Zeit in Spanien, Chile, Kanada oder auch in Deutschland vor Jahren gemacht haben.

Unter anderen fordern wir:

– sofortige finanzielle Unterstützung, die auch wirklich die Unterhaltskosten deckt – unbürokratisch, schnell und als Vollzuschuss. – am besten wäre BAföG für alle!

Oder wenigstens ein Corona-Zuschuss, der für die Zeit der gesamten Wirtschaftskrise beantragt werden kann und bis zu €900,- umfasst.

– das aktuelle Semester darf gegenüber dem BAföG-Amt, der Krankenkasse, der Ausländerbehörde etc. nicht als Fachsemester zählen,

– Fristverlängerungen für Klausuren und Abgaben, nicht bestandene Prüfungen dürfen nicht als Fehlversuche zählen, flexible Möglichkeiten zum Erbringen von Leistungen müssen für alle geschaffen werden,

– die umfassende Ermöglichung von Lehre und Orientierungseinheiten in Präsenz unter Berücksichtigung des Infektionsschutzes, vor allem von kleinen, diskussionsbasierten Formaten – bei Bedarf mit digitaler Zuschaltmöglichkeit.

Dafür setzen wir uns akut ein. Grundsätzlich geht es darum, dass wissenschaftliche Bildung ein Menschenrecht ist, das allen zusteht, um international zu friedlichen, gerechten und nachhaltigen Lebensverhältnissen beizutragen.

Hoch die internationale Solidarität!