Autor: Alexey Markin, 10.07.2020
Ich möchte betonen, dass für die internationale Studierende die Situation in der Corona Zeiten teilweise anders als für deutschen Kommiliton*innen aussieht, obwohl diese Unterschiede oft nicht sichtbar sind. Das Aufenthaltsrecht während des Studiums in Deutschland ist eine ziemlich komplizierte Sache.
Keine Sorge, alles ist geregelt!
Einerseits gibt es zurzeit für die studierenden Ausländer*innen einige kleine Zugeständnisse: für das Sommer-Semester wurde die Regelstudienzeit vom Aufenthaltsstatus entkoppelt. Das notwendige „Solidarsemester“ wird also nicht auf die maximal zehn Jahre Studium, die man als „Ausländer“ in Deutschland bekommt, angerechnet.
Wenige wissen das, aber so ist es: die meisten „internationalen Studierenden“ haben nach zehn Jahren am Ende ihres Studiums immense Probleme mit der Ausländerbehörde. Das heißt für die vielen Studenten und Studentinnen, dass der Kampf für jedes Semester oder Studienjahr zusätzlich sich immer lohnt, und jetzt macht die deutsche Regierung fast wie ein großzügiges Geschenk: Vielleicht werden aus einem sogar zwei Semester des „sorglosen Aufenthaltes“ in Deutschland. Denn: Das Wintersemester wird, nach bisheriger Information, auch digital.
Seit Juni können die internationalen Studierenden sich um die Überbrückungshilfe für Studierende in Not bewerben, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung letztendlich für uns alle eingerichtet hat. Ich betone hier Alle, weil alle heißt, dass wir als etwas Gemeinsames angesehen werden, wie eine solide Studierendenschaft! Alle Studierenden haben also für den Moment der Epidemie keine Nationalitäten, also sind wir fast schon Student*innen ohne Grenzen! Ich kann mich in der Mitte der Pandemie gleich mit meinen deutschen Kommiliton*innen fühlen: ängstlich, isoliert, armutsbedroht oder arm, aber geschützt von den Parteien und der Regierung.
Alles unter Kontrolle liebe Gäste des Landes, keine Panik!
Echt: Corona kann utopische Welten verwirklichen! Es ist vielleicht jetzt ein bißchen irritierend das zu hören, aber das soll die „normale“ Wahrnehmung der Situation sein. Einige teilen das vielleicht bewusst oder unbewusst.
Was für euch eine nicht genügende Hilfe ist, ist für uns Ausländer ein Zeichen der Fürsorge. Das ist wie Gleichberechtigung für drei Monate. Du bist jetzt nicht ein Student oder Studentin aus einem „dritten Land“ oder aus einem „Nicht-EU-Land“, sondern bekommst wie alle anderen in diesem Land – möglicherweise!, wenn Du alle Kriterien erfüllst – eine Hilfe. Aber die Kriterien sind endlich für alle gleich.
Es ist also kein Problem, dass auf ein Corona-Notfalldarlehen die internationale Studierenden sowieso nur eine sehr geringe Chancen haben. Das hat Irina schon erläutert: Viele können nicht ihre verlorene Schwarzarbeit nachweisen oder alle wichtigen Kriterien erfüllen. Und kaum ein internationaler Studi will sich verschulden und sich dadurch noch mehr selbst ausbeuten oder ausgebeutet werden.
Alle anderen Probleme der internationalen Studierenden pausieren für die Corona-Zeit nur ein bisschen. Bald werden die Probleme wieder zurückkommen, massiver. Enormer Leistungsdruck des Studiums, 10000 Euro auf Sperrkonto für das Visum wieder aufbauen, kein Bafög… Diskriminierungen sind sowieso immer dabei. Ich spreche jetzt nicht über die rassistischen Morde und Bedrohungen. Wir werden immer an den Mord unseres Kommilitonen William Tonau-Mbobda erinnern. Es geht mir jetzt mehr um strukturelle Diskriminierungen und Ungleichheiten im Studium und bei der Arbeit.
Es ist wichtig zu begreifen, dass die internationale Studierende entweder in ihren (oft sehr engen) Wohnungen, in Wohnheimen sitzen, ohne Kontakte zu den Kommilitone*innen, ohne Campusleben, ohne „Sprachpraxis“ in Deutsch oder: sie haben es überhaupt nicht geschafft, nach Deutschland zu kommen und sitzen „zuhause“ fest. Die einheimischen Studierenden haben trotz „Corona“ wenigstens Familie in der Nähe und meist ein recht großes Netz aus Bekannten. Die internationalen Studis, wenn sie hiergeblieben sind, hängen die ganze Pandemiezeit zwischen traurigen Nachrichten aus den Heimatländern und der unsozialen, ausgrenzenden deutschen Realität.
Die Grenze war oder ist für sehr viele zu, aber die Situation verändert sich langsam. Ich habe mir die Webseite des Auswärtigen Amts angeschaut. Dort steht, ich zitiere:
Was ist ein Studium, das „nicht vollständig vom Ausland aus durchführt werden kann?“ Ich verstehe das als die Frage nach der Präsenzlehre. Die Präsenzlehre ist die vollständige, die wirkliche Lehre. Sie ist, bzw. wäre eine Möglichkeit für internationale Studierende, nach Hamburg zurückkehren. Sie ist die Bedingung jeder internationalen Bildung, bei der es nie nur um Kompetenzen, sondern immer auch um Kultur, Länderkunde, Alltagssprache und vieles mehr geht. Da aber gibt es schon wieder eine neue gravierende Diskriminierung: Europäer*innen sind jetzt zum Teil erheblich im Vorteil, können einreisen, aber die „Drittländer*innen“ kämpfen wieder für ihre Existenz, um ihre Zukunft. Deswegen möchte ich an dieser Stelle aus dem Offenen Brief „Zur Verteidigung der Präsenzlehre“ zitieren, den schon mehr als 5000 Professor*innen und Dozierenden unterschrieben haben, darunter auch einigen Professor*innen aus der Universität Hamburg:
- Die Universität ist ein Ort der Begegnung. Wissen, Erkenntnis, Kritik, Innovation: All dies entsteht nur dank eines gemeinsam belebten sozialen Raumes. Für diesen gesellschaftlichen Raum können virtuelle Formate keinen vollgültigen Ersatz bieten. Sie können womöglich bestimmte Inhalte vermitteln, aber gerade nicht den Prozess ihrer diskursiven, kritischen und selbständigen Aneignung in der Kommunikation der Studierenden.
- Studieren ist eine Lebensphase des Kollektiven. Während des Studiums erarbeiten sich die Studierenden Netzwerke, Freundschaften, Kollegialitäten, die für ihre spätere Kreativität, ihre gesellschaftliche Produktivität und Innovationskraft, für ihren beruflichen Erfolg und ihre individuelle Zufriedenheit von substantieller Bedeutung sind. Dieses Leben in einer universitären Gemeinschaft kann in virtuellen Formaten nicht nachgestellt werden.
- Die universitäre Lehre beruht auf einem kritischen, kooperativen und vertrauensvollen Austausch zwischen mündigen Menschen. Dafür, so sind sich Soziologie, Erziehungs-, Kognitions- und Geisteswissenschaften völlig einig, ist das Gespräch zwischen Anwesenden noch immer die beste Grundlage. Auch dies lässt sich nicht verlustfrei in virtuelle Formate übertragen.“
Mit diesen Worten möchte ich beenden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!