Autor: Alexey Markin, 23.09.2020

Zur Situation der Studierenden aus Nicht-EU-Ländern

Zuerst zur Situation der einreisenden Studierenden aus nicht EU-Ländern. Sie sind in vielen Fällen im Nachteil gegenüber den Studenten*innen aus der EU und Deutschland. Ihre Situation ist aber ein bisschen wie eine Detektiv-Geschichte, weil die Informationen über die Lage der Nicht-EU-Studierenden oft nicht transparent ist, und man muss echt recherchieren. Um nicht einfach ohne Fakten zu sein, habe ich die deutschen Medien angeschaut, die über die Situation der internationalen Studierenden berichten.

Am 14.08.2020, also noch im August, schreiben Moritz Rödle und Martin Schmidt in dem Artikel Keine Einreise für Online-Studenten auf der Webseite von Tagesschau über die Doppelmoral der deutschen Ämter. 

Erst vor Kurzem empörte sich die Bundesregierung, dass die USA ausländischen Studenten Visa verweigern wollten, die in der Corona-Krise nur Online-Kurse belegen können. Dabei geht sie ähnlich vor. (…) Demnach werden in Deutschland Visa zurzeit nur an Studierende vergeben, die eine Präsenzpflicht an ihrer Uni nachweisen können. In der Antwort der Bundesregierung heißt es wörtlich: „[Seit] dem zweiten Juli können ausländische Studierende, die nachweisen können, dass ihr Studium nicht vollständig aus dem Ausland durchgeführt werden kann, beispielsweise aufgrund von Präsenzpflichten, auch zur Aufnahme eines Studiums einreisen. „Weiter heißt es: „Die Einreise zu einem Online- oder Fernstudium ist weiterhin nicht vorgesehen.“

Jetzt wissen wir z.B., dass die Uni Hamburg ein sogenanntes „Hybrid-Semester“ für das Wintersemester 2020/21 angekündigt hat. Das heißt für internationale Studierende, dass sie vermutlich die „Präsenzpflicht“ bei den deutschen Botschaften nachweisen und ohne Problem nach Deutschland einreisen können. Aus den FAQ der Uni Hamburg

Es muss ein triftiger Einreisegrund (Präsenzstudium) nachgewiesen werden. Eine entsprechende Bescheinigung ist für alle internationalen Erstsemesterstudierenden in STINE hinterlegt. Austauschstudierende erhalten einen solchen Nachweis mit ihrem Einladungsschreiben. Ebenso müssen die Studierenden bei Einreise entweder den Nachweis einer geeigneten Unterkunft vorweisen oder ein anerkanntes ärztliches Attest vorlegen können, dass keine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 besteht. Im anderen Fall wird die Einreise verweigert.

Wie die Situation tatsächlich jetzt aussieht, können wir aus einem anderen Bericht Der komplizierte Weg an die deutschen Unis von Bernd Kramer, Süddeutsche Zeitung am 16.09.20, einen Monat später lesen.

Für ausländische Bewerberinnen und Bewerber scheint es in der Tat derzeit sehr schwer zu sein, zum Studium nach Deutschland zu kommen. Zuletzt wurden deutlich weniger Studierendenvisa erteilt, wie eine Auswertung aus dem Auswärtigen Amt zeigt, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Zwischen April und Juni bekamen gerade einmal 354 Männer und Frauen aus Ländern außerhalb der EU ein Studierendenvisum. Sonst sind es mehr als 10 000, im Quartal kurz vor Beginn eines Wintersemesters sogar mehr als 30 000.

Die Statistik aus dem Artikel sagt, dass im Jahr 2019 von Juni bis September (4 Monate) 31 145 Studiereden ein Visum bekommen haben und im Jahr 2020 von April bis Juni (3 Monate) nur 353 – viel zu wenig. Einerseits trägt die Schuld daran Uni-Assist. Uni-Assist ist die Outsourcing-Organisation in Berlin, die die ausländischen (Zeugnis-)Dokumente von internationalen Bewerber*innen bearbeitet und prüft. Einige Mitarbeiter*innen wurde „wegen Corona“ dort gekündigt und die anderen sind wegen schlechter Arbeitsbedingungen im Streik. Ohne dieses Papier von Uni-Assist können die Studierenden keinen Studienplatz an der Uni bekommen und nicht das Visum beantragen. Hier zitiere ich den Artikel: „Ausländische Bewerberinnen und Bewerber müssen daher oft länger als üblich warten, bis ihre Unterlagen bearbeitet werden„. Andererseits, es gibt nicht nur ein Problem mit Uni-Assist, das – wie wir hoffen – bald abgeschafft wird. Auch die deutschen Botschaften sind im Notbetrieb! Es gibt nicht genug Termine bei den Visumstellen. Viele Studierede haben Schlafstörungen, weil sie vergeblich wochenlang einen Anruf von der Botschaft erwarten.

Wie schwierig die Lage für Studienbewerber und Studienbewerberinnen bei den Botschaften derzeit ist, unterstreicht auch eine Umfrage des Dienstleisters Expatrio, der ausländische Studierende durch den Antragsdschungel begleitet. Das Unternehmen befragte im Sommer rund 1400 Bewerberinnen und Bewerber. 87 Prozent der Befragten wollten trotz Corona weiterhin zum Wintersemester nach Deutschland kommen. Aber mit 39 Prozent hatte nur ein kleiner Teil von ihnen zu dem Zeitpunkt bereits ein Visum. Die übrigen gaben zu einem großen Teil an, sie hätten Probleme, Termine bei den Botschaften zu vereinbaren.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass es viele unterschiedliche Probleme bei den einreisenden internationalen Studierenden zurzeit zusätzlich zu den Corona-Restriktionen gibt, wie Uni-Assist, nur eingeschränkt oder gar nicht tätige Botschaften, keine Präsenzlehre bei einigen Fakultäten oder Universitäten etc., und dass wir daher eindeutig mehr Unterstützung der Universitäten und Behörden brauchen.  In dieser Situation ist es wichtig, nicht zusätzliche Hürden einzubauen, sondern solidarisch die ursprünglichen abzubauen, wie zum Beispiel den unmenschlichen Druck von Ausländerbehörden, verlgante Finanzierungsnachweise etc.

Das Solidarsemester ist auch für internationale Studierenden bedeutend, weil sie sich zweifachem Druck befinden: einerseits als Student*innen und zweitens als Ausländer*innen, die zusätzlich mit den deutschen Behörden um ihren Aufenthalt kämpfen müssen.

#EducationIsNotTourism

Ich möchte auch Eure Aufmerksamkeit für die Kampagne unter dem Hashtag #EducationIsNotTourism wecken. Menschen aus aller Welt posten auf Twitter Fotographien und Nachrichten, um die deutschen Behörden, Botschaften und Außenminister Heiko Maas dafür zu gewinnen, die Einreise für internationale Student*innen nach Deutschland wieder zu ermöglichen. 

Präsenzlehre und Uni Hamburg

Warum haben die internationale Studierende ein Interesse, mehr Präsenzlehre zu bekommen? Nicht nur die soziale Lage der Studierenden verschlechtert sich wegen der Corona- Maßnahmen, sondern auch die Beziehungen und die Kommunikation leiden erheblich. Zusätzlich zum Studium ist der Campus ein Begegnungsort, wo die Student*innen auch ihr Leben verbringen. Es gibt kreativen Austausch, politische Aktivitäten, alltäglichen Lebensereignisse. Das kann alles jetzt nicht an der Uni stattfinden. Der Campus ist halb tot. Die Universität ist nicht mehr ein sozialer Ort für Student*innen. Sie sind nach irgendwo anders vertrieben. Das müssen wir verändern!  Die demokratischen Universitäten und der Campus können nicht ohne Student*innen und ohne Präsenzlehre existieren.

Das gilt besonders für Ausländer*innen. Sie sind hier in Deutschland oft allein, der Campus ist für sie eine Möglichkeit, Kommilito*innen zu begegnen, besser die deutsche Universitätskultur kennenzulernen und nicht zuletzt, die deutsche Sprache zu lernen. Man muss auch beachten, dass viele internationale Student*innen keine Möglichkeit für Homeoffice haben. Sie brauchen außer Seminarräumen auch die Bibliotheken und Orte zu studieren. Das ist bis heute so schlimm organisiert, dass ich das einfach diskriminierend finde. In der Stabi sind die Plätze meistens ausgebucht. Ich selbst konnte noch eine Zeit lang in der Zentralbibliothek einen Platz finden, aber auch dort ist jetzt fast immer alles besetzt. In der Bücherhalle, muss man sagen, gibt es nicht so strenge Maßnahmen, wie in der Uni. Man muss Abstand halten und Maske tragen, aber es gibt keine Voranmeldung. Die Bücherhalle ist letztendlich viel offener als die Universität.

Außerdem: Warum kann man nicht mehr Plätze in der Vorlesungsfreie Zeit in anderen Uni-Gebäuden organisieren? Wo können wir unsere Hausarbeiten schreiben und Klausuren vorbereiten? Das ist eine gravierende Missachtung unserer Bedürfnisse: Man muss – trotz Pandemie – die Leistungen erbringen, aber die Ausländer*innen, gleich wie so manche deutsche Komilito*innen, haben dazu keine Lernräume. Wo soll dann unser Studium stattfinden? Kann man eine gute Hausarbeit auf die Straße schreiben? Mehr Plätze zum Studieren in der Uni ist jetzt auch die Verbesserung unsere Lebensbedingungen in der Pandemiezeit. Man sollte nicht prekär ein Plätzchen suchen müssen, um in der Ruhe zu lernen. Die Universitätsverwaltung muss achtsamer werden und mehr Unterstützung für Studierende leisten. Mehr Präsenzlehre und Lernplätze sind auf jeden Fall eine Lösung, um die fehlenden Homeoffices auszugleichen und ein soziales Leben auf dem Campus zurückzubringen. Die deutschen Botschaften und anderen Behörden dürfen die internationalen Studierenden wegen Corona nicht ausgrenzen. Internationaler wissenschaftliche Austausch und Völkerfreundschaft müssen auch in der Corona-Zeit stattfinden!


Fotos von der KUNDGEBUNG: für Präsenz und ein Solidarsemester an den Hamburger Hochschulen!