Autorin: Golnar Sepehrnia
„Auf dem sensibelsten Terrain gibt es immer Menschen, die zu Recht der Meinung sind, dass der Mensch nur in Beziehung zu anderen existiert. Und das, was den Menschen ausmacht, ist seine Fähigkeit zur Solidarität, Gegenseitigkeit, Komplementarität“.
Jean Ziegler – Berater im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen
Die Gesundheitskrise fordert unsere qualifizierte Menschlichkeit heraus; sie ist kein Schicksal! Die Pandemie trifft auf eine verletzliche Weltgesellschaft infolge des global extrem ungerechten Profitsystems: Schon bevor das neue Corona-Virus bekannt wurde, gab es 820 Millionen hungernde Menschen in der Welt. 2,2 Milliarden Menschen waren ohne Trinkwasserversorgung, 4,2 Milliarden ohne gesicherte Gesundheitsfürsorge und 3 Milliarden ohne minimale Installationen zum Händewaschen. Diese Zustände waren und sind nicht hinnehmbar! Zumal es nicht an Reichtum mangelt, bedenkt man, dass jährlich über eine Billion US-Dollar weltweit allein für Militär- und Rüstung verschwendet werden, schädlich und gefährlich von denselben Regierungen, die vorgeben, um die Gesundheit der Menschheit bemüht zu sein. Bei aller jetzt notwendigen Sorgfalt zur Eindämmung der Pandemie ist deshalb kritische Rationalität gegenüber den teilweise sehr autoritären staatlichen Maßnahmen angebracht.
Die Hamburger Virologin Prof. Marylyn Addo vom Uniklinikum in Eppendorf sagt‚ „wenn man sich die Krankheitsbilder der meisten Infizierten anschaut, sollte es [das Virus] eigentlich nicht so viel Angst machen. (…) Selbst in einem Worst-Case-Szenario werden wir wahrscheinlich genug Betten in Hamburg haben, um alle Patienten zu versorgen“. (Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Ruhe vor dem Sturm“, 11.04.‘20). Diese Aussage macht deutlich: Die extrem unterschiedliche Gefährlichkeit des neuen Corona-Virus hängt von der Qualität des Sozial- und Gesundheitssystems der verschiedenen Länder ab – und in Deutschland ist die Lage im Verhältnis zu anderen Ländern wegen hoher ökonomischer Produktivität (auf Kosten anderer) und entwickelter sozialer Kämpfe nicht so dramatisch , . Trotzdem müssen auch hier grundlegende soziale Veränderungen durchgesetzt werden.
Bildung, Wissenschaft und demokratisches Engagement an den Unis sollten deshalb von uns allen für menschenwürdige Verhältnisse wieder zum Leben erweckt werden. Dafür müssen wir auch die Probleme vieler von uns, besonders der Studierenden aus dem Ausland, solidarisch angehen: Die Universität wurde plötzlich, willkürlich und auf unbestimmte Zeit geschlossen; das öffentliche, kulturelle und wirtschaftliche Leben wurde weitgehend reduziert; die gesundheitliche und politische Lage ist in vielen Herkunftsländern beängstigend. Viele fragen sich: Wovon soll ich leben? Ist mein Aufenthalt noch gesichert, wenn ich mein Studium nicht regelkonform fortsetzen kann? Muss ich und kann ich am „Digital-Semester“ teilnehmen? Muss ich mich vor der Polizei fürchten? Angesichts der sozialen Unsicherheit sind Demokratie-Verlust und die staatlich verordnete Isolation besonders schädlich.
Darum ist es notwendig und gut, dass allerorten alltägliche Solidarität wächst, politisch diskutiert und eine neue Aufmerksamkeit für gesellschaftliche Zusammenhänge gebildet wird. Es ist gut, der Lust auf produktive, auch wissenschaftliche, Begegnungen nachzugehen. Es ist nötig, dass die öffentliche Kritik an der Sparpolitik, an Privatisierungen und Profitorientierung (besonders im Gesundheitssystem) immer schärfer wird. Wir können und wollen nicht zu der „Normalität vor Corona“ zurück, sondern bessere Lebensbedingungen schaffen. Dazu gehört auch das Engagement für eine sofortige und andauernde Verbesserung der sozialen, rechtlichen und Bildungssituation der internationalen Studierenden.
Redet miteinander! Redet mit uns! Nur gemeinsam können wir unsere Lage verbessern!
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